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Daten aus der präklinischen Forschung vernetzen und den Zielen der 3R zusätzlich Schub verleihen – geht das?

Der konsequente Einsatz der 3R-Prinzipien Reduce, Refine, Replace hat in den vergangenen Jahrzehnten zu signifikanten Verbesserungen in der präklinischen Forschung geführt. Der Rückgang von Tierversuchen könnte noch markanter sein, wenn alternative Methoden durch die Zulassungsbehörden verstärkt anerkannt würden. Was wäre aber zusätzlich möglich, wenn Daten aus In-vivo-Versuchen zentral verfügbar und breit geteilt würden?

1. Die 3R-Prinzipien bewegen die präklinische Forschung

Mit der konsequenten Förderung und Anwendung der 3R-Prinzipien konnten über die vergangenen Jahrzehnte viele Tierversuche ersetzt (Replace), die Zahl der Versuchstiere reduziert (Reduce) und deren Belastung auf einem Minimum gehalten werden (Refine). Diese Anstrengungen werden konsequent fortgeführt, denn auf Tierversuche kann zurzeit für die Erforschung und Entwicklung von neuen Wirkstoffen nicht in allen Fällen verzichtet werden. Dies zum Beispiel, wenn es darum geht, komplexe Organe wie das Gehirn oder das Zusammenspiel verschiedener Organe zu untersuchen. Beim Tierversuch wird aber auch erforscht, ob ein neuer Wirkstoffkandidat effektiv zum Beispiel gegen einen Krankheitserreger oder gegen Tumore wirkt und bis zu welcher Dosis eine sichere Verabreichung möglich ist. Diese Tierversuche, auch präklinische Phase genannt, sind gesetzlich vorgeschrieben. Erst wenn im Tier eine sichere und effektive Anwendung nachgewiesen wurde, darf ein Wirkstoff in klinischen Studien an Menschen geprüft werden.

Erfolgreiche Alternativmethoden zu Tierversuchen

Inzwischen kommen anstelle von Tierversuchen eine ganze Reihe von Alternativmethoden, wie zum Beispiel menschliche Zell- und Gewebekulturmethoden, zum Einsatz. Auch «Organe auf einem Chip», basierend auf dreidimensionalen Zellsystemen, bieten neue Möglichkeiten, um die Zahl notwendiger Tierversuche auf ein Minimum zu bringen. So können heute mehrere Organe auf einem Chip von der Grösse eines USB-Sticks untergebracht und miteinander verbunden werden, um die Dynamik eines menschlichen Organismus zu modellieren. Mithilfe von aus Patientinnen und Patienten gewonnenen Organoiden können zudem wichtige Aspekte eines menschlichen Organs – wie zum Beispiel Teile des Darms – ausserhalb eines lebenden Organismus nachgebildet werden. Damit lassen sich unerwünschte Wirkungen potenzieller Arzneimittel im menschlichen Körper vorhersagen. Diese bahnbrechenden Entwicklungen können zu einer weiteren Reduktion von Tierversuchen beitragen. Diese tierfreien Alternativmethoden werden allerdings nur dann anerkannt, wenn ihre Ergebnisse genauso zuverlässig oder besser sind als jene aus Tierversuchen.

Anerkennung von Alternativmethoden ist zentral

Durch die aufwendige Überprüfung und Validierung der Alternativmethoden kann es Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis solch eine Methode als Ersatz für den bisherigen Tierversuch durch die Zulassungsbehörden anerkannt wird. Auf internationaler Ebene wurden mehrere Einrichtungen geschaffen, um bei der Validierung dieser Alternativen zum Tierversuch voranzukommen. So gibt es zum Beispiel das European Center for the Validation of Alternative Methods (ECVAM) sowie insbesondere die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH). Die ICH treibt die Vereinheitlichung der Zulassungskriterien für Medikamente weltweit voran und trägt auch massgeblich zur Anerkennung von Alternativmethoden zu Tierversuchen durch die relevanten Zulassungsbehörden in Asien, Europa und den USA bei.

2. Das Potenzial von Big Data und künstlicher Intelligenz für 3R in der präklinischen Forschung nutzbar machen

Vorhandene und zukünftig generierte Daten nutzbar machen

Die Anerkennung von Alternativmethoden ist das eine. Doch welche Möglichkeiten verspricht Big Data, wenn es darum geht, den 3R zusätzlichen Schub zu geben? Big Data hat ein noch nicht erschlossenes Potenzial, das die biomedizinische Forschung beschleunigen und weiter verbessern kann. Aber wie kann das funktionieren? Forschungsergebnisse werden zwar in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert, so auch die Erkenntnisse aus Tierversuchen. Allerdings sind die Daten aus Studien – zum Beispiel Informationen zu der jeweiligen Methodik, Ergebnisse, ab welcher Dosis ein Medikament Nebenwirkungen verursacht hat oder wann ein Medikament wirksam gegen eine Krankheit wirkt – nirgends so erfasst, dass Forschende die Resultate aus den vergangenen Studien nutzen und vergleichen können. Um von bereits durchgeführten Tierversuchen zu lernen, müssten die vorhandenen Versuchsdaten – unabhängig davon, ob die Ergebnisse positiv oder negativ waren –  zum Beispiel über eine digitale Plattform gesammelt und so verknüpft werden, dass die Informationen einfach und rasch für den Kreis der Forschenden zugänglich sind. Tabletten zum Beispiel bestehen aus der aktiven Substanz, die gegen eine Krankheit wirkt, sowie aus Stoffen, um die Tablette aufzufüllen und pressen zu können. Diese Füllstoffe dürfen keine toxischen Wirkungen auslösen und müssen somit auch in Tierversuchen getestet werden. Da die Füllstoffe in der Tablettenherstellung breit eingesetzt werden, wäre es zielführend, alle toxikologischen Tests in einer Datenbank zu erfassen, sodass andere Forschende an Universitäten oder in den forschenden pharmazeutischen Firmen diese Testergebnisse für ihre eigenen Anwendungen verwenden können, ohne die Tests zu wiederholen. Somit ist der Nutzen von Big Data nur dann von Bedeutung, wenn Daten verknüpft und zugänglich sind. Diese vorhandenen Daten kollektiv nutzbar zu machen, bedeutet auch, einen Kulturwandel in Gang zu setzen und bestehende Silos innerhalb von Institutionen und zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu überwinden.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bedingt grosse Datensätze

Sind grosse Datenmengen verfügbar, so stellt sich die Frage nach dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Tatsächlich könnte eine Verknüpfung von Daten aus Tierversuchen nicht nur dazu führen, dass diese nicht mehr repliziert werden, sondern auch, dass gänzlich neue Techniken und Anwendungen entwickelt werden können. Künstliche Intelligenz könnte zum Beispiel dazu genutzt werden, um Tierversuche zu modellieren und damit vorherzusehen, ob ein Medikament wirkt oder wie sicher es ist, ohne dass dafür Studien am Tier nötig sind. In der traditionellen Medikamentenentwicklung macht die «Drug Discovery», also die Phase, in der neue Wirkstoffe entdeckt und «in vitro» – zum Beispiel in Zellkulturen – getestet werden, den grössten Anteil der Medikamentenentwicklung aus (Anzahl der Tests von potenziellen Wirkstoffkandidaten). In einem nächsten Schritt wird ein potenzielles Medikament in Tierversuchen geprüft, bevor es in klinischen Studien am Menschen eingesetzt wird. Die künstliche Intelligenz könnte entscheidend dazu beitragen, diese «In-vitro-Forschung» auszubauen und Tierversuche in der präklinischen Phase teilweise obsolet zu machen, also weiter zu verringern. Auch hat sie das Potenzial, den Prozess der Medikamentenentwicklung von der Idee bis zur Zulassung zu beschleunigen und Fehler in einer früheren Entwicklungsphase zu entdecken, sodass es nur vielversprechende Wirkstoffkandidaten in die klinische Phase schaffen. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz setzt jedoch eine grosse Menge an Daten und den Zugriff auf die Datensätze voraus, wobei dem Schutz des geistigen Eigentums Rechnung zu tragen ist. Darüber hinaus braucht es vor allem aber auch Forschende mit der Kompetenz, die künstliche Intelligenz zielführend einzusetzen, gewonnene Erkenntnisse zu bewerten und basierend darauf Entscheide zu fällen.

3. Erste Schritte in der Datenvernetzung sind gemacht

Industrie leistet Pionierarbeit zur Verringerung von Tierversuchen

In einem viel beachteten Projekt haben sich vier pharmazeutische Unternehmen mit Unterstützung der Europäischen Vereinigung der Pharmazeutischen Industrie und ihrer Verbände (EFPIA) zusammengetan, um in Kooperation mit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eine freiwillige, nicht gewinnorientierte Initiative zur Bereitstellung von Daten durch die Industrie zu starten. Ziel ist es, hochwertige, bisher unveröffentlichte physikalisch-chemische, toxikologische und ökotoxikologische Stoffdaten aus den Archiven der Unternehmen öffentlich zugänglich zu machen. Dank dem erweiterten Zugang zu Gefahrendaten zu Chemikalien wird die Effektivität datenbankgestützter Instrumente zur Vorhersage von Eigenschaften von chemischen Stoffen verbessert. Die Daten können darüber hinaus von Experten aus der akademischen Wissenschaft oder aus den Unternehmen der forschenden pharmazeutischen Industrie für Modelle genutzt werden, um Tierversuche für chemische Stoffe schrittweise zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Die ECHA hat sich bereit erklärt, diese Initiative zu unterstützen und als Makler und neutrale Plattform für die Verbreitung dieser Daten zur Verfügung zu stehen. Zurzeit läuft eine Testphase, an der die ECHA, die EFPIA und die Unternehmen Boehringer Ingelheim, F. Hoffmann-La Roche, Johnson & Johnson und Merck KGaA beteiligt sind. Ziel ist es, ein Programm zu schaffen, an welchem sich weitere Unternehmen beteiligen und ihre Archivdaten zur Verfügung stellen.

Mit Datenplattformen die 3R voranbringen Heute erfolgt die Erfassung, Speicherung und gemeinsame Nutzung komplexer Datensätze in Pharmaunternehmen oft auf der Grundlage von Tabellenkalkulationen. Die Plattform PreDICT (Preclinical Data Integration and Capture Tool) von AstraZeneca wurde in Zusammenarbeit mit dem Datenanalyseunternehmen Tessella entwickelt. Dabei wurde zunächst eine Reihe von Datenstandards definiert, mit denen sich In-vivo-Studiendaten aus allen Forschungsbereichen klar und vollständig darstellen lassen. Erfasst und analysiert wurden präklinische pharmakokinetische Daten (diese Daten beschreiben die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt, wie die Aufnahme des Arzneistoffes, die Verteilung im Körper sowie der biochemische Um- und Abbau), pharmakodynamische Daten (Daten zu unerwünschten Wirkungen und zur richtigen Dosierung, um die erwünschte Wirkung im Körper zu erzielen) sowie Wirksamkeitsdaten. Das System gewährleistet Datenintegrität und ermöglicht Wissenschaftlern, In-vivo-Datensätze für die Vorhersage optimaler Dosierungen und Zeitpläne in klinischen Studien schnell zu finden, zu integrieren und gemeinsam zu nutzen. Nebst Zeitersparnissen, einer Reduzierung von Outsourcing-Kosten und vereinfachten Arbeitsabläufen konnten auch eine signifikante Verbesserung der Datenqualität und ein erhöhtes Vertrauen in die Daten festgestellt werden. Der schnelle Zugriff zu qualitativ hochwertigen Daten macht es für Forschende wesentlich einfacher, Modelle für das Verhalten von Arzneimitteln in realen Organismen zu entwickeln. Die Vorhersagen dieser Modelle sollen zudem In-vivo-Experimente teilweise gänzlich ersetzen oder dazu genutzt werden, um pro eingesetztes Tier ein Maximum an Erkenntnissen zu gewinnen sowie die Zahl der eingesetzten Tiere zu verringern.

Reduce

Die Möglichkeit, auf einen grossen Datenbestand zurückzugreifen, hilft Forschenden, das Design von Experimenten so zu optimieren, dass für jedes verwendete Tier ein Maximum an Erkenntnissen gewonnen wird. Der Zugriff auf Archivdaten fördert, bereits durchgeführte In-vivo-Versuche zu vermeiden und die Zahl der in neuen Studien verwendeten Tiere zu verringern, beispielsweise durch die Wiederverwendung von Kontrollgruppendaten aus vergleichbaren früheren Studien.

Replace

Der schnelle Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten erleichtert Forschenden, Modelle für das Verhalten von Wirkstoffen in realen Organismen zu entwickeln. Je besser die In-vivo-Daten gepflegt werden, desto wahrscheinlicher werden zuverlässige Modellvorhersagen, welche In-vivo-Versuche ersetzen könnten.

Refine

Die Datenbank ermöglicht, Datensätze aus vielen Studien in einer Meta-Analyse zusammenzuführen, und liefert einen umfassenden Einblick in die Art und Weise, wie die Tiere verwendet wurden. Das unterstützt die Verfeinerung von In-vivo-Versuchen.

Mit Big Data zu besserer Forschung und mehr Patientensicherheit

Unterstützt von verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen und Partnern aus der Akademie, hat das Technologieunternehmen GMV im Rahmen von eTRANSAFE eine biomedizinische Datentechplattform geschaffen, die die Entwicklung neuer Medikamente verbessern und für Patientinnen und Patienten sicherer machen soll. Das übergreifende Ziel von eTRANSAFE war es, die Vorhersagbarkeit, Durchführbarkeit und Zuverlässigkeit der Sicherheitsbewertung während des Entwicklungsprozesses von Medikamenten drastisch zu verbessern. Dies wurde durch die Entwicklung der eTRANSAFE-ToxHub-Plattform erreicht, die präklinische und klinische Datenbanken in einer integrativen Dateninfrastruktur zusammenführt und mit innovativen Berechnungs- und Visualisierungswerkzeugen kombiniert. Damit wurde eine ausreichende Menge an biomedizinischen Daten generiert, um mittels Big Data-Technologien Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Nutzen des Projekts liegt in effizienteren Studien, kürzeren Forschungszeiten und besseren Toxizitätsergebnissen. Ein Teil des Projekts vergleicht präklinische mit klinischen Studien, um besser vorhersagen zu können, was in der klinischen Phase beim Menschen passiert.

«eTRANSAFE» – ein Projekt der «Innovative Medicines Initiative»

eTRANSAFE wurde entwickelt im Rahmen der «Innovative Medicines Initiative (IMI)», Europas grösster öffentlich-privater Initiative, die unter anderem vom Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union und von der Europäischen Vereinigung der Pharmazeutischen Industrie und ihrer Verbände (EFPIA) unterstützt wird. Das Projekt wollte, unter Einhaltung von Data-Governance-Techniken, eine Vielzahl an präklinischen und klinischen Daten verfügbar machen. Eine Voraussetzung dafür war die Verfügbarkeit relevanter, qualitativ hochwertiger Datensätze. Um diese Daten optimal nutzen zu können, mussten jedoch wichtige Herausforderungen bewältigt werden, wie die Förderung des Informationsaustauschs zwischen konkurrierenden Organisationen oder die Förderung einer angemessenen Kontrolle, Standardisierung und Kommentierung der Datenqualität.

Quelle: Innovative Medicines Initiative (IMI)

4. Im Dialog den Kulturwandel für 3R mit Big Data anpacken

Die genannten Beispiele stehen exemplarisch für das Engagement der Pharmaindustrie, neue Wege zu beschreiten, Daten zu teilen und Forschenden zur Verfügung zu stellen und die Möglichkeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz auch in der präklinischen Forschung verstärkt zu nutzen. Damit kann ein neues Kapitel aufgeschlagen werden, um bei den 3R weitere signifikante Fortschritte zu erzielen. Was in der medizinischen Grundlagenforschung eruiert wird, kommt auch den Patientinnen und Patienten zugute. Mithilfe von digitalen Methoden wurden und werden beispielsweise auch die Strukturen und Funktionsweisen des Coronavirus breit erforscht.

Die Chancen der Digitalisierung, die breit in der Gesellschaft Anwendung findet, gilt es auch in der Medikamentenforschung verstärkt zu nutzen. Dies gelingt allerdings nur, wenn Daten aus der präklinischen Forschung breit zur Verfügung stehen.

Interpharma will den Dialog zur Datenvernetzung im präklinischen Bereich fördern und einen Beitrag leisten, um dieses wichtige Thema in der Schweiz und im internationalen Kontext voranzubringen. Ein Kulturwandel, die Zusammenarbeit aller Forschenden und die richtigen politischen Massnahmen (Anerkennung von neuen Alternativmethoden und künstlicher Intelligenz) sowie der Schutz des geistigen Eigentums sind von zentraler Bedeutung, um das Potenzial von Big Data und künstlicher Intelligenz für den Ersatz von Tierversuchen bei der Medikamenten- und Therapieentwicklung auch nutzen zu können.

5. Das sagen die Expertinnen und Experten

Interpharma will den Dialog zur Datenvernetzung im präklinischen Bereich fördern und einen Beitrag leisten, um dieses wichtige Thema in der Schweiz und im internationalen Kontext voranzubringen.

Das sagen die Expertinnen und Experten

Prof. Dr. Dr. Michael O. Hottiger

Professor für Molekularbiologie und Biochemie der VSF/MNF der Universität Zürich, Präsident des Vereins «Forschung für Leben»

Dr. med. vet. MLaw Julika Fitzi-Rathgen

Fachstelle Tierversuche und Tierärztliche Beratungsstelle, Schweizer Tierschutz STS

Nathalie Stieger

F. Hoffmann-La Roche Ltd Head of Government Affairs

Dr. Joachim Coenen

DVM, DABT Senior Expert Animal Science and Welfare SQ-Corporate Animal Affairs Merck-Gruppe

Hans Wyss

Direktor Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen

Wie notwendig ist es, Plattformen und Kooperationen zu schaffen, um die Daten aus der präklinischen Forschung u.a. mit Tieren für Forschende zugänglich und nutzbar zu machen mit dem Ziel, die 3R weiter voranzutreiben?

Das Wissen im Bereich der 3R beruht grösstenteils auf Ergebnissen aus der Grundlagenforschung, die v.a. für die Bereiche Reduktion und Optimierung oft nicht zugänglich sind oder nicht publiziert werden (für Ersatzmethoden sieht es bedeutend besser aus). Um die Umsetzung von 3R-Prinzipien voranzutreiben, ist die Erhebung von Daten in allen 3R-Bereichen deshalb dringend nötig. Dadurch könnten wir unser Wissen bündeln, den Tierschutz verbessern und gleichzeitig wissenschaftliche Fortschritte fördern.

Wie stehen die Chancen, dass in der Schweiz in diesem Thema etwas geht?

Ich denke, die Aussichten sind sehr vielversprechend. Zum Beispiel wird derzeit an der Universität Zürich ein Projekt vorangetrieben, um Daten in einer strukturierten Form zu sammeln und zu nutzen. Gut strukturierte Daten sind entscheidend, um bedeutungsvolle Künstliche-Intelligenz-(KI-)Algorithmen zu entwickeln. KI-Algorithmen werden bereits heute in Bereichen wie der Toxikologie eingesetzt. Zukünftig könnten neue Algorithmen auch Tierbesitzern und Forschern ermöglichen, das Wohlbefinden einzelner Tiere auf nicht invasive Weise zu überwachen.

Wen sehen Sie in der Rolle des Trägers/Initiators einer solchen Plattform?

Es wäre sinnvoll, wenn eine nationale Organisation die Sammlung, Speicherung und Verfügbarkeit von Daten in der Schweiz koordiniert. Das nationale 3R-Kompetenzzentrum sollte vorzugsweise eine Schlüsselrolle bei der Dateninfrastrukturgestaltung übernehmen. Wissenschaftler, Pharmafirmen, Forschungseinrichtungen, Regierungsorganisationen, Aufsichtsbehörden und gemeinnützige Organisationen müssten zusammenarbeiten, um dies zu erreichen. Diese Kooperation wäre entscheidend für den Erfolg dieses Vorhabens.

Wie notwendig ist es, Plattformen und Kooperationen zu schaffen, um die Daten aus der präklinischen Forschung u.a. mit Tieren für Forschende zugänglich und nutzbar zu machen mit dem Ziel, die 3R weiter voranzutreiben?

Seit Jahren gehen Bestrebungen des Tierschutzes in Richtung einer Präregistrierung für wissenschaftliche Arbeiten, die mit Tierversuchen durchgeführt werden. Ein grosser Nutzen wäre, dass Tierversuche nicht wiederholt werden müssen bzw. dürften, wenn sie nicht erfolgreich den gewünschten Erkenntnisgewinn gebracht haben. Doppel- und Mehrfachtierversuche für gleiche Fragestellungen könnten verhindert und viel Tierleid eingespart werden.

Wie stehen die Chancen, dass in der Schweiz in diesem Thema etwas geht?

Grundsätzlich besteht bei allen involvierten Institutionen Konsens darüber, dass der Bedarf solcher Plattformen besteht und diese in Bezug auf die 3R sinnvoller- und notwendigerweise baldmöglichst umgesetzt werden sollten. Warum das so schleppend vorwärtsgeht, kann ich nicht sagen, aber Ideen und Vorstösse in diese Richtung gibt es bereits seit Längerem.

Wen sehen Sie in der Rolle des Trägers/Initiators einer solchen Plattform?

Grundsätzlich muss es primär im Interesse der Forschenden liegen, die 3R so gut und schnell wie möglich umzusetzen – dazu gehört auch die Reduktion von Tierversuchen, die mit solchen Plattformen sicher vorankäme. Ich sehe hierfür auch mit dem 3R-Kompetenzzentrum Kooperationsmöglichkeiten, und natürlich wird auch der Schweizer Tierschutz STS eine solche Initiative mit seinen Mitteln bestmöglich unterstützen.

Wie notwendig ist es, Plattformen und Kooperationen zu schaffen, um die Daten aus der präklinischen Forschung u.a. mit Tieren für Forschende zugänglich und nutzbar zu machen mit dem Ziel, die 3R weiter voranzutreiben?

Solche Kooperationen haben das Potenzial, die 3R-Prinzipien wesentlich zu fördern. Die dadurch zugänglichen Daten können bei der Entwicklung von prädiktiven computergestützten Testmodellen und anderen, alternativen Testmethoden helfen, mit dem Ziel, die Abhängigkeit von Tierversuchen zu verringern oder Tierversuche zu vermeiden.

Wie stehen die Chancen, dass in der Schweiz in diesem Thema etwas geht?

Auf EU-Ebene gibt es schon derartige Initiativen. Letztes Jahr haben Firmen, u.a. Roche, mit der Unterstützung der EFPIA und der European Chemicals Agency eine Zusammenarbeit zur Veröffentlichung von Daten initiiert. Die Datenbank enthält nun Informationen zu 94 Substanzen. Ähnliche Initiativen könnten auch in der Schweiz unterstützt und durchgeführt werden.

Wen sehen Sie in der Rolle des Trägers/Initiators einer solchen Plattform?

Die Pharmaindustrie übernahm in diesem Projekt eine führende Rolle, da sie im Besitz von physikalisch-chemischen und toxikologischen Daten von chemischen Stoffen ist, die für sie keinen wirtschaftlichen Wert mehr haben. Dennoch bedarf es des Einbezugs von allen relevanten Akteuren wie Behörden und Forschung, um das Potenzial solcher Plattformen völlig auszuschöpfen.

Wie notwendig ist es, Plattformen und Kooperationen zu schaffen, um die Daten aus der präklinischen Forschung u.a. mit Tieren für Forschende zugänglich und nutzbar zu machen mit dem Ziel, die 3R weiter voranzutreiben?

Absolut notwendig. Es ermöglicht Wiederverwendung und Weiterentwicklung von bestehenden Daten und Modellen, erleichtert den Austausch von Methoden zur Verbesserung des Tierwohls und fördert die Entwicklung von Alternativmethoden zum Ersatz von Tierversuchen. Allerdings sind Voraussetzungen essenziell, z.B. Standards, Datenschutz, Datenaustausch und Verfügbarkeit von Ressourcen.

Wie stehen die Chancen, dass in der Schweiz in diesem Thema etwas geht?

Das «Handelsblatt» schrieb Ende August: «Novartis führt bei KI-Einsatz in Pharmaforschung», auch Roche setzt intensiv auf KI. Forschungsintensität, Engagement im Tierschutz und Akzeptanz von Tierversuchen prädestinieren Schweizer Firmen zur KI-Entwicklung.

Wen sehen Sie in der Rolle des Trägers/Initiators einer solchen Plattform?

Ich sehe die Schweizer Pharmafirmen im Lead. Allerdings müssen die Zulassungsbehörden involviert sein. Für die Rolle des Koordinators würde sich das 3RCC anbieten. Natürlich kann ein solches Projekt nur erfolgreich sein, wenn Wissenschaftler der verschiedenen Fachbereiche aus Industrie, Akademie oder Start-ups (z.B. Exscientia) unterstützen.

Wie notwendig ist es, Plattformen und Kooperationen zu schaffen, um die Daten aus der präklinischen Forschung u.a. mit Tieren für Forschende zugänglich und nutzbar zu machen mit dem Ziel, die 3R weiter voranzutreiben?

Die Analyse von Daten, die über eine Forschungsgruppe hinaus genutzt werden, kann wissenschaftliche Fortschritte auslösen und dadurch die 3R vorantreiben. Dies bezieht sich explizit auch auf das Veröffentlichen von Ergebnissen aus erfolglosen Studien. Hierfür ist das Teilen von Daten über Plattformen und in Kooperationen anzustreben, um aus allen Tierversuchen den maximalen Erkenntnisgewinn sicherzustellen.

Wie stehen die Chancen, dass in der Schweiz in diesem Thema etwas geht?

Sowohl Forschende wie die Öffentlichkeit haben berechtigterweise ein grosses Interesse an Transparenz bei Tierversuchen. Deshalb prüft das BLV, wie die Publikationspflichten, wie zum Beispiel der Zweck, die Protokolle und die Ergebnisse aus Tierversuchen, sinnvoll erweitert werden können.

Wen sehen Sie in der Rolle des Trägers/Initiators einer solchen Plattform?

Dies hängt sicherlich von den Anforderungen an die Plattform ab. Sofern es sich um Daten aus der Industrie handelt, ist diese mit den Daten vertraut und rechtlich deren Eigner. In diesem Fall sollten Industriekonsortien diese Plattform unter Beteiligung der Behörden entwickeln und betreiben.