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Tierversuchsverbot in den Niederlanden

In den Niederlanden wurde 2016 ein kompletter Ausstieg aus Tierversuchen bis 2025 diskutiert. Der Plan wurde verworfen: Es geht nicht ohne Tierversuche.

1. Die Niederlande plante den Ausstieg

Das niederländische Nationalkomitee zum Schutz von Versuchstieren in der Wissenschaft (NCad) publizierte im Jahr 2016 eine Empfehlung zum Übergang zur Forschung ohne Tierversuche. Gefordert wurden eine schrittweise Reduzierung sowie ein geplanter Ausstieg insbesondere bei Tierversuchen im Bereich der regulatorischen Sicherheitsprüfungen, also bei gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitstests für Chemikalien, Lebensmittel, Inhaltsstoffe, Pestizide und Medizinprodukte sowie Impfstoffe bis 2025. Die Empfehlung des NCad wurde in der Folge immer wieder als «Masterplan» zum Stopp von Tierversuchen in den Niederlanden angeführt – zu Unrecht, wie sich erwiesen hat.

2. Ein Ausstieg ist nicht umsetzbar

Die deutsche Wissenschaftsinitiative «Tierversuche verstehen» hat sich mit dem Bericht des NCad eingehend befasst und wertete zusätzlich Dokumente aus niederländischen Ministerien aus. Wie aus der Recherche hervorgeht, ist ein Ausstieg der Forschung aus Tierversuchen in den Niederlanden weder geplant noch möglich. Auch haben die Niederlande die Frist zum Ausstieg bis 2025 im regulatorischen Bereich komplett gestrichen. In der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und zu Ausbildungszwecken ist der absolute Verzicht auf Tierversuche inzwischen auch gemäss NCad nicht umsetzbar. Denn ohne Tierversuche können komplexe Funktionen des lebenden Organismus und die Interaktionen der verschiedenen menschlichen Organe nicht erforscht und so weder Gefahren noch Wirkung von Substanzen getestet werden. Der Wissenschaft bliebe es so verwehrt, Antworten auf biomedizinische Fragen zu finden, ohne Menschenleben zu gefährden.

3. Ein Verbot wäre unethisch und riskiert Sicherheitsstandards

Im Falle eines Totalverzichts auf Tierversuche sind zwei Szenarien denkbar: Es käme entweder zu einer inakzeptablen Verringerung der Sicherheitsstandards, weil medizinische Forschung am Menschen ohne präklinische Forschung stattfinden würde. Dies wäre ethisch nicht vertretbar. Oder die medizinische Forschung würde zum Schutz der Probandinnen und Probanden klinische Studien unterlassen und damit der wissenschaftliche Fortschritt verhindert. Dieses Dilemma erkannten die Niederlande und brachen das Vorhaben ab. Das Ziel des kompletten Ausstiegs wurde abgeschwächt in eine Absicht, Alternativmethoden und tierversuchsfreie Innovationen zu fördern, was in die 3R-Strategie einfloss: Gemäss dieser sollen pharmazeutische Forschende möglichst viele Tierversuche ersetzen (Replace), die Zahl der Versuchstiere reduzieren (Reduce) und deren Belastung möglichst gering halten (Refine). Aufgrund mangelnder Alternativen steht hingegen ein Tierversuchsmoratorium nicht mehr zur Diskussion.

4. Verlagerungen in Länder mit tieferen Standards

Innovative Methoden und Techniken haben das Potenzial, die Wissenschaft weiterzubringen und die Reduktion von Tierversuchen zu ermöglichen. Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen arbeiten zusammen, um den Wissensaustausch hinsichtlich tierversuchsfreier Innovationen zu fördern. Ein Alleingang, wie ihn das NCad für die Niederlande bei den regulatorisch vorgegebenen Tierversuchen vorschlug, birgt erhebliche Gefahren. Während nämlich in den Niederlanden (wie auch in der Schweiz) Versuche auf ethisch höchstem Niveau durchgeführt werden, würden Forschungsprozesse bei einem Moratorium in Länder mit tieferen Standards verlagert. Dies bedeutet, dass tiefere ethische Ansprüche an den Umgang mit den Tieren und die Sicherheit der Experimente zur Anwendung kämen. Ein Verbot von Tierversuchen in europäischen Ländern hätte so den Effekt, die ethischen Standards in der medizinischen Forschung gesamthaft zu senken. Strategien wie 3R müssen daher stets im internationalen Kontext realisiert werden.

5. Die 3R-Strategie weist den Weg

Die Forderung nach einem Verbot von Tierversuchen ist nicht neu. Selbst in der Hochphase der ersten Corona-Pandemiewelle wurden im März und April 2020 Petitionen für ein vollständiges Verbot von Tierversuchen bei der Europäischen Kommission eingereicht. Ihren Vorstoss begründeten die Initianten unter anderem damit, dass die Niederlande bereits einen Zeitplan für die Abschaffung von Tierversuchen hätten. Doch was die Forschergemeinschaft bereits bei der Formulierung des Ausstiegsplans ahnte, wurde später politisch bestätigt: Es gibt in den Niederlanden heute keinen konkreten Plan mehr für einen Verzicht auf Tierversuche. Wie unter anderem die SARS-CoV-2-Pandemie zeigt, sind Tierversuche für die Erforschung von lebensrettenden Therapien oder Impfstoffen essenziell. Auch bei regulatorischen Sicherheitsprüfungen kann auf Tierversuche einzig verzichtet werden, wenn validierte, international anerkannte Alternativen vorhanden sind. Einen verbindlichen Plan des Ausstiegs aus Tierversuchen kann es auf absehbare Zeit nicht geben, was an den fehlenden Alternativen liegt – nicht am fehlenden Willen der Forschergemeinschaft. Abschliessend ist festzuhalten, dass die konsequente Förderung und Umsetzung der 3R-Prinzipien – Reduce, Replace, Refine – der zielführende Weg ist, um die Forschungsqualität und das Tierwohl zu erhöhen.