1. Rasche Testinfrastruktur, schnelle Impfstoffentwicklung
Während in der Schweiz die Pandemie noch in weiter Ferne schien, entwickelten Forschende in Deutschland bereits im Januar 2020 die erste Testinfrastruktur für SARS-CoV-2. Bis das Virus Europa mit der ersten Welle heimsuchte, vergingen nochmals einige Wochen. Schon im März stand ein marktreifer Test von Roche bereit. Die Testtechnologie hat sich seither rasant verbessert – Testen für Covid-19 ist heute günstig, weniger invasiv und zuverlässig. Bis wirksame Impfstoffe zur Verfügung standen, verging gerade ein Jahr: Ende 2020, und damit nur 12 Monate nachdem der Erreger Ende 2019 identifiziert wurde, standen die ersten wirksamen Vakzine zur Verfügung. In der Regel dauert es von der Entwicklung über die Zulassung bis zum Markteintritt eines Vakzins zwischen sechs und fünfzehn Jahre.
2. Die Gründe für den raschen Fortschritt
Die rasche Bereitstellung von Testmöglichkeiten und Vakzinen für SARS-CoV-2 kann auf drei Hauptfaktoren zurückgeführt werden. Erstens arbeitet die Forschergemeinschaft schon dreissig Jahre an der mRNA-Technologie, welche die methodische Grundlage für verschiedene Impfstoffe für das Coronavirus darstellt.
Auch auf andere technische Ansätze und Erfahrungen konnte zugegriffen werden. Zweitens erfolgte eine einzigartige internationale Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft, Pharmaunternehmen und biotechnologischen Start-ups. Die diversen daraus entstehenden Synergien ermöglichten schnellen wissenschaftlichen Fortschritt. Und letztlich drittens, ermöglichten die Behörden unterschiedlicher Länder eine regulatorische Beschleunigung. Zusätzlich zu den Schlüsselfaktoren bildet die Grundlagenforschung die Basis für jegliche medizinische Forschung. Ohne die explorative und ergebnisoffene universitäre Forschung, die auch Tierversuche benötigt, können keine Medikamente und Therapien entwickelt werden. Stets hängt die medizinische Forschung von der Messung von Sicherheit und Wirksamkeit von Stoffen ab. Tierversuche sind eine unverzichtbare Methode , um diese beiden Faktoren zu testen – auch im Falle der Vakzine und Tests für SARS-CoV-2.
3. Seit dreissig Jahren mRNA erforscht
Boten-RNA-Impfstoffe wurden in den letzten dreissig Jahren entdeckt und weiterentwickelt. Synthetisch hergestellte RNA wird per Impfung in körperliche Zellen eingebracht. Diese dienen der Zelle als Bauanleitung für Proteine, die wiederum eine Abwehrreaktion gegen das Virus auslösen. Wenn RNA Information zur Herstellung von Proteinen in eine Zelle trägt, wird sie Boten-RNA oder messenger-RNA (engl.) genannt – daher das Kürzel «mRNA». Die ungarische Wissenschaftlerin Katalin Kariko leistete Anfang der 1990er-Jahre Pionierarbeit in der Entwicklung von therapeutischen Ansätzen mit mRNA. Nach einer anfänglich schwierigen Suche nach Forschungsgeldern gelang ihr mit Forscherkollege Drew Weissman in den USA die Entdeckung einer funktionierenden Immunantwort durch synthetische mRNA. Kariko setzte nach ihrer universitären Karriere die Forschung bei BioNTech fort. Eigentlich fokussierte sich ihr Team auf Vakzine gegen Krebs, wobei jeweils für ein Krebsvorkommen spezifische mRNA für den Patienten hergestellt werden. Mit dem Beginn der Pandemie jedoch konzentrierten sich BioNTech und ihre Partnerin Pfizer auf die Impfstoffentwicklung für SARS-CoV-2. Anstatt von Grund auf alles neu zu entwickeln, suchte BioNTech nach der korrekten mRNA-Sequenz für die Produktion eines Proteins, das eine Abwehrreaktion gegen das Virus auslöst.
4. Internationale Zusammenarbeit
Diese rasche Entwicklung verschiedener Impfstoffe ist eine aussergewöhnliche Leistung, welche durch eine noch nie dagewesene internationale Zusammenarbeit auf allen Ebenen möglich wurde. Forschende Unternehmen hatten von SARSCoV-1 schon Anfang der 2000er-Jahre und MERS im Jahre 2012 erste Erfahrungen im Umgang mit Coronaviren gesammelt. Als Konsequenz aus den Erfahrungen wurde in der Covid-Pandemie der genetische Schlüssel des Virus früh offengelegt. Aufgrund der Informationsverfügbarkeit konnten diverse Unternehmen mit der Entwicklung eines Vakzins beginnen. Zusätzlich beschleunigte die Zusammenarbeit zwischen akademischen Institutionen und der Pharmaindustrie die Impfstoffentwicklung.
AstraZeneca entwickelte beispielsweise gemeinsam mit der Universität Oxford einen Vektorimpfstoff. Erfolgreiche Kooperationen wirkten auch zwischen Unternehmen: Pfizer entwickelte in Zusammenarbeit mit dem deutschen Biotechunternehmen BioNTech einen mRNA-Impfstoff. Johnson&Johnson entwickelte mit ihrem Tochterunternehmen Janssen und dessen Vaccines-Standort in Bern ein DNA-Vakzin mit Vektoren. Auch bei diesem Impfstoff handelt es sich um eine Technik, die sich bereits zur Impfung gegen die Ebola-Krankheit bewährt hat. Mit Lonza als neuem Produktionspartner konnte Moderna die Produktionskapazität der Impfstoffe verzehnfachen. Lonza wiederum baut im Zuge dieser Kooperation ihre Anlagen in Visp (VS) aus.
5. Offenheit und Flexibilität der Behörden
Neben diversen Kooperationsformen halfen auch beschleunigte und vereinfachte Verfahren in der klinischen Phase, die Effektivität und Sicherheit der Vakzine schneller zu prüfen. Die Behörden haben dank der Offenheit für beschleunigte Prozesse dazu beigetragen, dass ein erster Impfstoff in Rekordzeit zugelassen wurde. Trotz der hohen Dringlichkeit hatte und hat Sicherheit (und Wirksamkeit) immer oberste Priorität. Doch konnten die Hersteller verschiedene Entwicklungsprozesse parallel laufen lassen. So wurden beispielsweise unterschiedliche Phasen der klinischen Studien kombiniert. Auch rekrutierten Pharmaunternehmen zeitgleich Probandinnen und Probanden für unterschiedliche Phasen der klinischen Studien. Bei einem ausbleibenden Forschungserfolg wären die teuren aufgegleisten späteren klinischen Phasen überflüssig geworden. Auch der Austausch mit den Behörden wurde intensiviert und das Zulassungsverfahren von Swissmedic beschleunigt. Im Normalfall werden die Ergebnisse der klinischen Phasen I–III gesammelt und im Rahmen eines Zulassungsverfahrens geprüft. Für die Zulassung der Impfstoffe gegen das Coronavirus wurden jedoch in einem laufenden Verfahren jeweils einzelne Studien bei Swissmedic eingereicht und geprüft. Damit konnten Verzögerungen bei der Zulassung vermieden werden, ohne Abstriche bei der Sicherheit zu machen.
Die 30-jährige Erfahrung im Umgang mit der mRNA-Technologie, die nie dagewesene internationale Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Pharmaunternehmen und biotechnologischen Start-ups sowie die regulatorische Beschleunigung der verschiedenen Behörden haben eine Impfstoffentwicklung in Rekordzeit ermöglicht. Die Pandemie hat aber auch vor Augen geführt: Ohne den verantwortungsvollen Einsatz von Tieren, wäre das nicht möglich gewesen.
6. Grundlagenforschung ist die Basis aller medizinischen Forschung
Impfstoffe in solch kurzer Zeit herzustellen, bedingt vertiefte Vorkenntnis unzähliger Moleküle, Substanzen und Wirkstoffe. Dazu dient die Grundlagenforschung. Diese zielt nicht auf die Entwicklung eines marktfähigen Produkts, sie ist ergebnisoffen. Dabei suchen die Forschenden nicht nach einer konkreten Eigenschaft, sondern sind an jeglichen Wirkungen interessiert. Die untersuchten Stoffe bilden die Grundlage für die medizinische Forschung. Aus den unzähligen Substanzen, die aus der Grundlagenforschung hervorkommen, schaffen es wenige in die vorklinischen und klinischen Studien. Demnach begann die Forschung an den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 viel früher als erst bei Auftreten des Virus. Bei der Suche nach dem richtigen Wirkstoff gegen das Coronavirus griffen die Forscherteams auf untersuchte Stoffe der Grundlagenforschung zurück. Jeder Impfstoff basiert auf Tests mit Tausenden Substanzen, wovon bloss wenige Dutzend in eine engere Auswahl kommen. Dieser Prozess ist Teil der vorklinischen Prüfung.
7. Präklinisch die Sicherheit und Wirksamkeit prüfen
Primär reduzieren die Forschenden die Zahl der Substanzen anhand zweier Ausschlusskriterien: Wirksamkeit und Sicherheit. Diese zu messen ist eine komplexe Angelegenheit: Methodisch reicht die Spanne von Computersimulationen, Untersuchungen mit Bakterien, Zell- und Gewebekulturen bis hin zu isolierten Organen. Wenn alle anderen Testwege erschöpft sind, kommen Tierversuche zum Einsatz. Jeder Versuch, an dem Tiere beteiligt sind, muss von den kantonalen Veterinärbehörden genehmigt werden, die sich auf die Empfehlungen der unabhängigen kantonalen Kommissionen für Tierversuche berufen, um zu entscheiden, ob sie die Genehmigung, oft mit Auflagen, erteilen oder nicht. Zum Schutz von Patientinnen und Patienten vor schweren Nebenwirkungen sind Tierversuche vor klinischen Studien sogar gesetzlich vorgeschrieben. Durch diese regulatorischen Tierversuche ergründen die Forschenden, ob eine Substanz giftig ist und wie lange und stark sie wirkt. Ein giftiger Stoff kann Krankheiten oder Schäden am Erbgut auslösen. Aus ethischer Sicht darf ein solches Risiko bei der Behandlung von Menschen nicht in Kauf genommen werden. Die Wirkung von Impfstoffen wird anhand von produzierten Antikörpern gemessen. Dass die heutige Technologie es nicht erlaubt, eine solche Immunantwort in vitro – also ausserhalb des Körpers im Reagenzglas – zu simulieren, zwingt die Forschung, weiter auf Tierversuche zu setzen. Denn Tierversuche ermöglichen, die Wechselwirkungen eines Wirkstoffs in lebenden Organismen zu erforschen.
8. Für den medizinischen Fortschritt
Ohne die vorklinische Prüfung an Tieren ist die Erforschung von neuen medizinischen Wirkstoffen demnach unethisch gegenüber den Probanden in den darauffolgenden klinischen Phasen. Darum verhindert die Ablehnung der Forschung mit Tieren den medizinischen Fortschritt. Die Forscher haben jedoch auch eine ethische Verpflichtung gegenüber dem Tierwohl. Aus diesem Grund verfolgen Pharmafirmen und wissenschaftliche Institutionen in der Schweiz die 3R-Strategie. In Anbetracht der unglaublichen medizinischen Fortschritte der letzten Jahre steht ein Verzicht auf Tierversuche ausser Frage: Sonst hätten wir jetzt weder Impfstoffe gegen das Coronavirus noch wirksamere Therapien gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verschiedene Formen von Krebs und andere schwere Krankheiten zur Verfügung.